2. Die Differenzierungsphase

Als die logische Konsequenz auf die Pionierphase bezeichnet Lievegoed (1993) die von den beiden Ingenieuren Taylor (1911) und Ford geprägte „wissenschaftliche Unternehmensführung“. Diese „wissenschaftliche Unternehmensführung“ steht der persönlichkeitsorientierten Pionierphase diametral gegenüber. Aus flexibler Aufgabenverteilung wird Ordnung, aus Improvisation wird Planung, aus Emotionalität wird Rationalität, aus informellem Austausch werden Regeln und Formalitäten und aus Persönlichkeitsorientierung wird Sachorientierung. Die neuen Organisationsprinzipien sind dementsprechend Mechanisierung, Standardisierung, Spezialisierung, Koordinierung und Formalisierung.

 

Mit Mechanisierung ist der Ersatz menschlicher Arbeit durch Maschinenarbeit gemeint. Dazu zählt nicht nur die körperliche Arbeit, sondern auch geistige Arbeit, also Entscheidungen und Bewertungen. Diese Mechanisierung findet in allen Bereichen des Unternehmens statt, aber auch in den Beziehungen nach außen hin. Sie betrifft also nicht nur die Produktion, sondern beispielsweise auch die Kommunikation oder die Planung.

 

Das zweite Prinzip, die Standardisierung der Systeme und Prozesse, wird auf allen Ebenen betrieben. Nicht mehr jeder Kundenauftrag wird individuell erledigt, es kommt zu Standardisierung von Produkten und einer Einschränkung der Typen, sodass möglichst Serien- und Massenprodukte hergestellt werden können. Dies verursacht jedoch einen Verlust an Flexibilität. Auch im sozialen Bereich wird standardisiert. Die Mitarbeiterbewertungsverfahren werden unpersönlicher und sachlicher. Es entstehen Stellenbeschreibungen und Leistungsanforderungen, wobei die Mitarbeiter nicht mehr als Persönlichkeiten, sondern als Funktionsträger betrachtet werden. Diese Strukturierung des Inneren benötigt so viel Aufmerksamkeit, dass der Blick nach außen darunter leidet. Als individuelles Ziel entwickelt sich die Erfüllung des Planziels, nicht mehr die Erfüllung des Unternehmensziels des Pionier-Unternehmers.

 

Die Spezialisierung gliedert Lievegoed in drei Arten auf. Erstens die funktionelle Spezialisierung, dabei sollen gleichartige Tätigkeiten unter spezialisierten Vorgesetzten zusammengefasst werden.

Zweitens die Spezialisierung der Führungsebenen, die er in drei Teile gliedert, die Spitze die für die Grundsatzbildung verantwortlich ist, die Mitte die Grundsätze in organisatorische Maßnahmen und Anweisungen umwandelt und die unten, die für die Ausführung der Anweisungen zuständig sind. Die Existenz eines Organigramms mit den Verantwortlichkeiten ist in dieser Phase selbstverständlich.

Die dritte Art der Spezialisierung findet auf der Ebene der Arbeitsprozesse statt. Jeder teilbare Arbeitsprozess wird aufgesplittet, sodass in allen Bereichen eine Art Fließbandarbeit entsteht. Für die Erfüllung jeder Aufgabe gibt es „one best way“, der einzuhalten ist. Die Anforderungen an die Arbeiter werden dadurch auf manuelle Fähigkeiten reduziert. Organisiert wird das Unternehmen anhand wenig integrierter, „gewachsener“ IT-Systeme.

 

Die freie Auftragsvergabe durch den Pionier-Unternehmer aus der Pionierphase, ohne eine Berücksichtigung der Hierarchieebenen, wird durch die „Einheit der Führung“ abgelöst. Durch gekappte Querverbindungen muss jedes Problem über die Hierarchiestufen geklärt werden, auch die gemeinsame Zielorientierung aus der Pionierphase geht verloren. Eine kleine Kontrollspanne von sechs bis acht Untergebenen soll dem Vorgesetzten ermöglichen, alles zu kontrollieren, dadurch entstehen viele Hierarchiestufen. 


Einordnung der Phase

Für eine Weiterentwicklung der Organisation dieser Phase ist aus Sicht der Führungskräfte ein großes Zutrauen zu den Mitarbeitern notwendig. Die Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern Aufgaben überlassen, die für die Mitarbeiter Herausforderungen bieten, an denen sie mit Hilfestellung jedoch wachsen. Daraus kann sich langfristig ein großes Verantwortungsbewusstsein und Potenzial des Unternehmens schöpfen. Eine Bevormundung der Mitarbeiter innerhalb der Regeln birgt jedoch hohes Konfliktpotenzial.

Das Eigentum am Unternehmen ist oft nicht mehr im Unternehmen, aber gebündelt nah am Unternehmen, beispielsweise bei einer Eigentümerfamilie, einer Institution oder dem Staat.


Aristoteles beschrieb eine ähnliche Situation mit der Königsherrschaft.


Diese soziale Struktur im Unternehmen dieser Phase ist mit der Jugend vergleichbar.



Die Krise der Phase

In dieser Phase besteht für das Unternehmen die Gefahr, den Blick für das Ganze zu verlieren und Kunden, Kundinnen und Lieferanten zu vernachlässigen. Die Erstarrung und daraus folgende Ineffizienz der Organisation führt Unternehmen dieser Phase in die Krise. Das zeigt sich durch Koordinationsprobleme, wenn eine Abteilung nicht mehr weiß, was die andere macht. Oft wird versucht, die Krise nur durch eine intensivere Führung zu lösen, was die Führung überlastet, während die unteren Hierarchieebenen geistige Leere empfinden und ihr Potenzial nicht ausschöpfen können. Der Verlust des Überblicks über die Zusammenhänge verursacht einen Sinnverlust der Mitarbeiter, der in einen Motivationsverlust mündet.

 

Der Unternehmensberater Pfläging spricht in seinem Buch „Komplexithoden“ (2015) von tayloristischen Organisationen mit entzündeten Prozessen ohne jede Chance, mit dynamischen Problemen fertig zu werden. Da sie sich mit Wahrnehmungsfehlern wie eines „unmotivierten Mitarbeitern“ beschäftigen, anstatt den Sinnentleerten Aufgabenzuschnitt zu ändern. Die damit verbundene Schuldzuweisung verschlimmert das Problem zusätzlich.

 

Der dm Drogeriemarkt-Gründer Götz W. Werner (2013) beschreibt in seiner Autobiographie ein Zusammentreffen mit einer „geringfügig beschäftigten“ Mitarbeiterin, die bei einfachen Fragen eines Kunden auf Vorgesetzte verwies. Da die Mitarbeiterin in diesem Moment mit dem Kunden redet, ist sie die wichtigste, alle anderen sind aus dieser Perspektive nur rückwärtige Dienstleistende. Er fordert: das Unternehmen nicht von oben nach unten, sondern von außen nach innen zu denken. Das ist, was in der Integrationsphase folgt und ich im Folgenden betrachten werde.